Christgeburtsspiel
„Ir liabn meini singa samlet eng zsam
Gleiwia die krapfen in der pfann.
Ir liabn meini singa trets zsam in a scheibn,
Ma wölln uns die weil mit singa vertreibn.“
So tönt es in vielen Waldorfschulen in der Weihnachtszeit, wenn die Lehrer das Oberuferer Christgeburtsspiel für Schüler und Eltern aufführen. Wer die Spiele nicht von klein auf aus seiner Schulzeit kennt, sondern sie erst in späteren Jahren oder als Erwachsener kennenlernt, mag befremdet sein. Der Text wird in einer bei uns nicht üblichen Mundart gesprochen; Handlung und Bühnenbild erzählen extrem einfach gehalten die biblische Weihnachtsgeschichte. Darin ist eine lustig-derbe Hirtenszene eingebettet. Die Gruppe der Mitspieler, auch Kumpanei genannt, zieht immer wieder Lieder singend durch den Raum und das Spiel beginnt mit einer nicht enden wollenden Begrüßung durch den Sternsinger. Warum führen wir also gerade dieses Christgeburtsspiel auf?
Zunächst können wir etwas zur Herkunft der Spiele sagen. Rudolf Steiner hatte einen väterlichen Freund und Lehrer in Wien, Karl Julius Schröer. Dieser hat die Mundarten der Deutschen untersucht, die in Enklaven im Bergland Nordungarns und der Slowakei lebten. Und dort hat Schröer auch die Oberuferer Weihnachtsspiele gefunden, die er 1862 in Wien herrausgegeben hat. Das erklärt den uns fremden Dialekt.
In der Einleitung zu den Spielen erzählt Schröer, wie man sich die Lebensumstände der Bauern in Oberufer vorstellen muss: „In der Nähe von Pressburg (heute Bratislava), eine halbe Stunde Weg zu fahren, liegt auf einer Vorinsel zur Insel Schütt das Dörfchen Oberufer, dessen Grundherrschaft die Familie Palfy ist. Die katholische sowohl wie die protestantische Gemeinde daselbst gehören als Filialen zu Pressburg und haben ihren Gottesdienst in der Stadt. Ein Dorfschulmeister für beide Gemeinden ist zugleich Notär, und so sind denn in einer Person alle Honoratioren des Ortes vereinigt. Er ist den Spielen feind und verachtet sie, so dass dieselben bis auf unsere Tage unbeachtet und völlig isoliert von aller „Intelligenz“ von Bauern ausgingen und für Bauern ausgeführt wurden. Die Religion macht dabei keinen Unterschied, Katholiken und Protestanten nehmen gleichen Anteil bei der Darstellung sowohl als auch auf den Zuschauerplätzen. Es gehören die Spieler jedoch demselben Stamme an, der unter dem Namen der Haidbauern bekannt ist, im 16. oder zu Anfang des 17. Jahrhunderts aus der Gegend am Bodensee eingewandert sein soll …..“.
Aufgeführt wurden die Spiele also nicht in einer Kirche, sondern im Wirtshaus. Vielleicht hat Schröer gerade dadurch erlebt, dass die Spiele in echter, ehrlicher Frömmigkeit gespielt wurden und eine herzliche Weihnachtstimmung erzeugt haben, die etwas von der tiefen Bedeutung erahnen lassen, die das Weihnachtsfest für die Menschheit hat. Dass dabei auch handfeste Heiterkeit nicht zu kurz kommt, unterstreicht nach Steiners Ansicht die gemütshafte Frömmigkeit der Bauern: „Es tat zum Beispiel der frommen Liebe, in der das Herz an das Jesuskind hingegeben war, keinen Eintrag, wenn neben der wunderbar gezeichneten Maria ein etwas tölpischer Josef hingestellt wurde oder wenn der innig charakterisierten Opferung der Hirten eine derbe Unterhaltung derselben mit drolligen Späßen voranging.“
So sollen die Spiele auch an der Waldorfschule durch ihre Einfachheit dazu beitragen, etwas sehr tief in uns liegendes anzusprechen und etwas von dieser ganz einfachen hingebungsvollen Frömmigkeit der Haidbauern in uns zu wecken, damit wir das Geschehen des Weihnachtsfestes erahnen oder ergreifen können.
Zitate aus Weihnachtspiele aus altem Volkstum, Die Oberuferer Spiele,
Rudolf Steiner Verlag, 1990